Thomaskirche in Weiz 4. Der Tabor

Als in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts aus dem magyarischen Raum die Ostgrenze des Reiches bedroht schien, begann man im verstärkten Maße mit dem Burgenbau. Es entstand in der Steiermark ein dreifacher Burgengürtel von der Grenze an der Lafnitz bis zur Koralpe. Im Raume um Weiz waren die Burgen Trennstein und Gutenberg erbaut worden. Sie dienten nicht nur der Verwaltung sondern auch der Verteidigung des Landes. Auch Kirchen wurden in diesen Sicherungsplan einbezogen und mit wehrhaften Mauern umgeben. So entstanden neben Ritterburgen Kirchen- oder Gottesburgen als Zuflucht- und Verteidigungsplätze.

Der Bau der Thomaskirche in Weiz fällt in diese Zeit des ritterlichen Burgenbaues. Ihr starkes und anfänglich geschlossenes Steinmauerwerk im Altarraum und Kirchenschiff lassen sie als bescheidenen Wehrbau erhöht über dem Markt gleich einer Burganlage erkennen. Wahrscheinlich war das Gotteshaus auch von allem Anfang an von einer niederen Mauer umfangen, durch deren Tor man den Kirchenhof betrat. Kirche und Kirchhof boten einer Festung gleich Schutz vor Verfolgung.

Im Schutz von äußeren Feinden konnte die Thomaskirche künstlerisch mit Freskenschmuck sowohl innen als auch außen ausgestattet und im 14. Jahrhundert duch den Anbau eines gotischen Altarraumes erweitert werden. In diese Zeit fällt auch die Erhöhung des Turmes über dem romanischen Chorquadrat, dessen Ausmaß noch heute an der Westseite des Turmes erkennbar ist.

Düstere Wolken zogen um die Mitte des 14. Jahrhunderts über dem politischen Horizont in Osteuropa auf. Aus Kleinasien kommend überschritten die Osmanen oder Türken die Meerenge zwischen Asien und Europa und begründeten ihre Herrschaft auf dem Balkan. Nach dem Fall von Adrianopel 1361 wurden Bulgarien und Serbien den Türken zinspflichtig; nach ihrem Sieg auf dem Amselfeld 1389 war ihnen der Weg nach dem Westen frei. Bereits 1415 erfolgte der erste Türkeneinfall in Innerösterreich, jener Ländergruppe, die Steiermark, Kärnten, Krain und Istrien umfaßte und Graz zur Hauptstadt hatte. Weite Landstriche Krains waren heimgesucht worden.

Nach dem Fall von Konstantinopel 1453 konnten die Osmanen ihre ganze Heeresmacht für weitere Kriegszüge einsetzen. 1480 suchten sie von Kärnten kommend die Steiermark heim, von dem das Landplagenbild an der Grazer Domkirche anschaulich berichtet. Diesem schweren Einfall folgten 1498 und 1499 weitere in Innerösterreich. Zur ersten Türkenbelagerung von Wien kam es 1529, der 1532 eine weitere folgen sollte. Wieder wurde die Steiermark türkisches Durchmarschgebiet mit allen Folgen und Belastungen für die Bevölkerung. Besonders schwer hatte die Bevölkerung des offenen Landes, die Bauern und ungeschützten Dörfer und Märkte zu leiden. Ganze Ortschaften wie Pischelsdorf und Gleisdorf in Bezirke Weiz wurden völlig niedergebrannt und zerstört.

Zur Verteidigung des Landes wurde im 15. Jahrhundert jeder 10. Mann aufgeboten, bald folgte die Aushebung jeden 5. Mannes. 1531 betrug die Gültrüstung des Landes 828 Gültreiter und 2722 Fußknechte. Auch der Magistrat Weiz hatte ein gerüstetes Pferd zu stellen; die Stubenberger 52 Reiter auf gerüsteten Pferden und 162 Büchsenschützen. Für das Aufgebot der Gültreiter war das jährliche Einkommen der Grundherrschaft aus der Gült maßgeblich.

Bei der Musterung für das Landesaufgebot hatten Bauern und Bürger mit eigenen Waffen zu erscheinen. Aber auch die Landschaft beschaffte Wehrzeug und Bewaffnung. So lieferten Weizer Meister unzählige Klingen und Büchsenrohre an das Zeughaus nach Graz. So lesen wir, daß der Messerschmied Saiger Säbelklingen, Stecher, und Beidhänder, der Klingenschmied Khrottendorfer hunderte Säbelklingen, der Schlosser Valtan Grundthner Büchsenrohre, die Schwertfeger Stumfpeckh und Khempfnagel eine große Zahl Klingen lieferten. In der Erlach werkte der Büchsenmacher Hans Raidt, dessen Rohrschmiede „gezogene Pürst- und Corbiner- rohre“ für die Landschaft erzeugte.

Eine große Belastung der Kirche stellte 1524 die Aufbringung der „Terz“, ein Drittel aller Einkünfte, 1526 die Einziehung der Kirchenkleinodien und 1529 die „Quart“ ein Zwangsdarlehen aus dem Verkauf eines Viertels des geistlichen Gültenbesitzes dar. Viel kostbares Kulturgut ging damals verloren, Pfarren und Klöster verarmten.

Als die Nachrichten vom Einbruch der Türken in Innerösterreich eintrafen, begann man im 15. Jahrhundert nach dem Vorbild von Tabor in Böhmen zur Zeit des Hussitenaufstandes befestigte Plätze um Kirchen anzulegen, in die sich bei Gefahr die Bevölkerung mit Hab und Gut flüchten und verteidigen konnte. An der Innenseite der Wehrmauern der Wehrmauern wurden oft mehrgeschossige Gaden oder Taborhäuschen mit gewölbten Kellern, Wohnräumen, Speichern und Stallungen angelegt, wie sie in den Kirchenburgen Siebenbürgens (Harman und Premjer unweit von Brasov – Kronstadt) noch erhalten sind. Im Raabtal entstanden für die offenen Märkte Fehring und Feldbach im 15. Jahrhundert ähnliche Taboranlagen.

Auch in Weiz baute man die schon bestandenen Mauern um die Thomaskirche im 15. Jahrhundert aus und schuf damit einen befestigten Fluchtplatz, der erneut unter Marktrichter Rupert Händl mit Hilfer der Grundherrschaft und des umliegenden Adels, wie aus einem Schreiben von 1556 hervorgeht, mit Torhaus, zwei Ecktürmen gegen Osten und einem Schalenturm im Mauerwerk gegen Süden befestigt wurde.

Die Ausdehnung der Gesamtanlage war wesentlich größer, als dies heute erkennbar ist. Bei Kanalgrabarbeiten vor dem heutigen Rathaus wurden Reste der ehemaligen Wehranlage gefunden, so daß die Annahme richtig scheint, daß die Kirche einst in der Mitte des Tabors lag und gegen Norden sich ebenfalls Hofflächen befanden. Ob am Bau der Taboranlage auch schon italienische Werkleute beteiligt waren, die man aus der Comoseegegend als Festungsbaumeister ins Land Gerufen hatte, kann nicht ausgesagt werden. Jedenfalls wirkten solche um 1560 beim Bau des Schlosses Radmannsdorf und um 1580 beim Bau des Schlosses Thannhausen mit. Auch das Haus Hauptplatz 17 und das alte Rat- oder Gerichtshaus weisen Merkmale der italienischen Baukunst der Comasken auf.

Kaiser Ferdinand I. verlieh am 4. Februar 1560 Weiz Wappen und Siegelrecht und vermerkte anerkennend im Wappenbrief, daß Richter, Rat und Bürgerschaft durch die Dienste „Uns und Unsern löblichen Hauß Ästerreich gethan“ berühmt geworden seien, was wohl auf den Verteidigungswillen des Marktes hinweist. Das Wappenbild der Pergamenturkunde zeigt das wahrscheinliche Aussehen der Wehranlage des Tabors, die auf dem Bild vom im 14. Jahrhundert gotisch erhöhten Turm der Thomaskirche überragt wird.

Nach Jahrzehnten der äußeren Ruhe verstärkte sich zu Beginn des 17. Jahrhunderts wieder der Druck aus dem Osten. Im Lande wurden die Wehranlagen verstärkt, Pässe und Übergänge verhackt und das Melde- und Alarmsystem neu überprüft. Auch der Weizer Tabor und seine Kirche sollten ihren letzten Ausbau erfahren. Schon 1640 wurden unter dem Marktrichter Peter Rechinger Um- und Ausbauarbeiten an der Kirche und am Turm wie die Instandsetzung der Taboranlage beschlossen. Dazu wurde eine Geldsammlung unter den Bürgern eingeleitet. Die Stiftsleute der Taborgült, die Bewohner der Umgebung wie die Grundherrschaften stellten unentgeltlich Baumaterialien und leisteten Hand- und Zugrobot, sodaß 1644 unter dem Marktrichter Jakob Rosenzweil der Aus- und Umbau abgeschlossen werden konnte. In der Gerichtstaiding vom 4. Juli 1644 wurden die Baumeister Georg Eisner und Georg Schedl gelobt. Die Wehrmauern waren erhöht und mit schlüssellochförmigen Schießscharten versehen worden. Der Turm der Kirche wurde auf den Grundmaßen des Chorquadrates über das Gewölbe fünf Stockwerke hoch aufgeführt, dabei die Westmauer des gotischen Turmes in das neue Mauerwerk einbezogen, mit Schießscharten versehen, Wehrgänge eingerichtet und mit einem Helmdach abgeschlossen. Der Turm überragt nun die Gesamtanlage des Tabors.

Noch heute sind im Turminneren die vermauerten Schießscharten mit ihren hölzernen Gewehrauflagen und die Maueraussparungen für das Einfügen der Wehrgänge aus Holz erhalten. In der Glockenstube hängt neben den drei Schwestern aus dem Jahre 1949 die Glocke mit den vier Evangelistensymbolen, die aus der Zeit um 1500 stammen soll und die nicht nur zu den Gebetszeiten, zu den Gottesdiensten und gegen Unwetter geläutet wurde, sondern auch die Bürger zum Taiding ins Gerichts- oder Rathaus rief.

Der Turm muß auch an der Nordseite von Außen einen Zugang gehabt haben. Unter schweren Holzbohlen befindet sich noch heute über dem Gewölbe des alten Chorquadrates im Turm eine Blochstiege mit sechs Staffeln, die ihre Fortsetzung im heutigen Dachspitzbogen über der Sakristei gefunden haben wird. Hier lassen drei Gewölbeansetze am Mauerwerk auf einen Raum schließen, von dem aus man durch eine heute zugemauerte Tür über den Außenabgang den nördlichen Taborhof erreichen konnte.

Als die Türkengefahr nach dem siegreichen Entsatz von Wien 1683 gebannt schien, ging man unter dem Marktrichter Adam Fintz 1687 daran, die Wehrgräben um den Tabor einzuebnen, Türme und Wehranlagen abzutragen und auf ihren Grundmauern das zweigeschossige Taborhaus gegen den Marktplatz zu aufzubauen. Nach seiner Fertigstellung 1689 übersiedelte die Marktschule vom Rathaus hierher.

In der Amtszeit des Marktrichters Georg Pistori verstärkte sich 1703 nochmals die Kriegsgefahr. Die Bevölkerung bereitete sich abermals auf einen Einfall der Osmanen und der Ungarischen Aufständischen (Kuruzzen)vor. Er blieb aber glücklicherweise aus.

Das Taborhaus wurde den Bedürfnissen und Aufgaben entsprechend öfter um- und ausgebaut. Erhalten sind nur mehr Kellergewölbe, Teile der Süd- und Westmauer mit einem vorspringenden Schalenturm wie der Brunnen des Tabors. Die Lage der Rüstkammer, der Speicher und Fluchträume für Menschen und Tiere sind heute kaum mehr nachweisbar. Alles was nördlich des Gotteshauses lag, ist längst abgetragen und der späteren Verbauung anheim gefallen.

Benefiziat und Stadtgemeinde haben in den letzten Jahrzehnten sowohl an der Thomaskirche wie am Taborhaus verdienstvolle Erhaltungs- und Erneuerungsarbeiten durchgeführt. Dabei war man bemüht, der Bauanlage nicht nur ein gefälliges Äußeres zu geben, sondern stilistisch nachempfundene Einbauten anzugleichen und den Hauptplatz gegen Westen repräsentativ abzusschließen.

(1907-2001) war Weizer und Lehrer aus Leidenschaft.
Besonderes Anliegen war ihm immer, wie er es nannte – ein volksbildnerisches Bestreben, auf die geschichtliche Vergangenheit unserer Heimat hinzuweisen.

In diesem Sinne werden hier auch seine Texte veröffentlicht, dass sie auch in Zukunft einer breiten Öffentlichkeit zugänglich werden, bzw. bleiben. Die Texte sind bis auf kleine Korrekturen in der Rechtschreibung unverändert gegenüber den Originaltexten. D.h. es kann sein, dass sie auch vom Stil her etwas antiquiert wirken.

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